1. Dezember 2022

Eure Fra­gen zum Welt-AIDS-Tag 2022

Von tomate
Lese­dau­er 5 Minu­ten

Wie hoch ist mitt­ler­wei­le – gemes­sen am Stand der Medi­zin- die Chan­cen der Hei­lung resp. die Chan­cen für Behand­lung und Eindämmung?

Ich fan­ge mal mit dem Ein­fa­chen an: die Chan­cen für Behand­lung sind sehr gut. Die exis­tie­ren­den HIV-Medi­ka­men­te sor­gen dafür, dass eine posi­ti­ve Per­son ein nor­ma­les, erfüll­tes Leben füh­ren kann und HIV nicht wei­ter geben kann – auch bei Sex ohne Kon­dom. Die Ein­däm­mung von HIV ist eigent­lich sehr ein­fach, denn Kon­do­me und/oder PrEP schüt­zen sehr gut vor einer Infek­ti­on. Der Grund, war­um sich immer noch Men­schen mit HIV infi­zie­ren liegt einer­seits in der Zugäng­lich­keit von PrEP, die nicht welt­weit gege­ben ist und natür­lich auch dar­an, dass in vie­len Tei­len der Welt das Kon­dom Dank katho­li­schen Inter­ven­ti­on ein­fach nicht ver­wen­det wird.

Eine Chan­ce auf Hei­lung sehe ich momen­tan nicht, aber wer weiß, auf wel­che Idee mor­gen oder über­mor­gen ein*e Wissenschaftler*in kommt.

Kann oder soll­te mensch sich/ich mich ein­fach irgend­wo tes­ten las­sen, also anlass­los? Mache ich für Coro­na ja auch.

Sexu­ell akti­ve Men­schen soll­ten sich zwei bis vier Mal im Jahr tes­ten las­sen, nicht nur auf HIV son­dern wenn mög­lich auch auf ande­re sexu­ell über­trag­ba­re Krank­hei­ten. Bit­te mach das nicht „irgend­wo“ son­dern in einer Arzt­pra­xis, beim Gesund­heits­amt oder einem der vie­len Test­an­ge­bo­te der Aids­hil­fe und ande­rer Beratungsstellen.

Wie genau ist ein Test­ergeb­nis mit einem Schnelltest?

Das kommt auf den Schnell­test an, in der Regel liegt die Genau­ig­keit bei nahe­zu 100%. Ein Schnell­test kann jedoch nicht die Sicher­heit eines PCR-Tests geben, da eine sehr klei­ne Chan­ce auf ein fal­se nega­ti­ve Ergeb­nis besteht.

Darf ich fra­gen? Wie lebens­be­ein­flus­send ist denn das noch? Eine Pil­le am Tag und man hat im Prin­zip Ruhe? Und was pas­siert, wenn man sie vergisst?

Genau das – eine Tablet­te am Tag und ich hab Ruhe vor dem Virus. Das Medi­ka­ment baut einen Spie­gel auf, nach 21 Tagen täg­li­cher Ein­nah­me kann man es auch „mal“ ver­ges­sen, ohne dass es irgend­wel­che nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen hat. Es ist natür­lich nicht zu emp­feh­len, die The­ra­pie dau­ernd, und sei es nur für einen Tag, zu unter­bre­chen. Aber ja, man kann die Tablet­te mal ver­pei­len, ohne dass es nega­ti­ve Fol­gen hat.

Phy­sisch ist das Virus also recht gut unter Kon­trol­le, das grö­ße­re Pro­blem ist das Stig­ma, das mit einer HIV-Infek­ti­on einhergeht.

Machen‘s seit PreP wie­der mehr Män­ner ohne Kon­dom? (Hab ich mich wegen Affen­po­cken gefragt.)

Ja, seit die PrEP ver­füg­bar ist, haben Män­ner, die Sex mit Män­nern haben (zu Män­nern, die nur Hete­ro­sex aus­üben kann ich nichts sagen), wie­der mehr Sex ohne Kon­dom. Das ist ja auch völ­lig klar, eine rich­tig ver­wen­de­te PrEP schützt zu 100% vor einer Infek­ti­on. PrEP-Nut­zen­de wer­den zudem (zumin­dest in Deutsch­land) alle 3 Mona­te ein­mal auf HIV und ande­rer STD getes­tet, so dass auch ande­re Erkran­kun­gen früh erkannt und behan­delt wer­den kön­nen. Zusätz­lich emp­fiehlt sich natür­lich eine Imp­fung gegen Hepa­ti­tis A+B.

Wie stark sind die Ein­schrän­kun­gen im All­tag durch die Medi­ka­ti­on, wenn man die HI-Viren so gut wie mög­lich unter­drü­cken möchte?

Ich habe kei­ne Ein­schrän­kun­gen durch die Medi­ka­ti­on. Yay.

Wie lebt es sich denn so mit der Krank­heit? Merkst du im täg­li­chen Leben was davon?

Puh, ich glau­be, ich weiß, wor­auf Du hin­aus willst und wir müs­sen zwi­schen der Krank­heit AIDS und der Infek­ti­on mit HIV unter­schei­den. Eine unbe­han­del­te Infek­ti­on wird irgend­wann zu einer Erkran­kung mit AIDS füh­ren. Da ich das nicht habe, kann ich nur auf die Infek­ti­on ein­ge­hen. Im täg­li­chen Leben mer­ke ich kör­per­lich nichts von der Infek­ti­on. Ich habe von mei­nem Medi­ka­ment kei­ne Nebenwirkungen.

Psy­chisch mer­ke ich eini­ges. Exter­ne Stig­ma­ti­sie­rung und Selbst­stig­ma­ti­sie­rung machen es manch­mal nicht leicht, die Infek­ti­on mit sich zu tra­gen. In der Welt Aids Tag Kam­pa­gne geht es ja auch nicht direkt dar­um, AIDS zu been­den (das natür­lich auch) son­dern pri­mär das Stig­ma abzu­bau­en und Vor­ur­tei­le los zu werden.

Wird die Virus­last bei HIV/AIDS eben­falls per PCR-Test gemes­sen? Und was sind die Grenz­wer­te, unter­halb derer man als „nicht ante­ckend“ gilt?

Ja, für HIV gibt es auch einen PCR-Test. Alles unter 50 leben­den Viren pro ml gilt als „unter der Nach­weis­gren­ze“. Hier ein Bei­spiel wie das bei mei­nem letz­ten Befund aussah:

Ins­ge­samt sind die Test­ver­fah­ren so weit, dass die Nach­weis­gren­ze bei 20 leben­den Viren liegt – die­se Test­ver­fah­ren wer­den aber kaum ange­wen­det. Ab einer Last von 200 leben­den Viren pro ml Blut gilt man nicht mehr als sexu­ell infektiös.

Kriegt jeder, der sich mit HIV infi­ziert, AIDS?

Ohne The­ra­pie frü­her ode spä­ter ja. Das kommt aber natür­lich auch drauf an, wie alt die Per­son ist und mit wel­chem HIV-Stamm sie sich infi­ziert hat. Eine per­son mit 90 und einer fri­schen HIV‑2 Infek­ti­on wird den Aus­bruch der Erkran­kung ver­mut­lich nicht mehr erleben.

War­um ist ein HIV Test bei vie­len so scham­be­haf­tet? Und wie­so machen es so wenig?

Die­se Fra­ge ist gar nicht so leicht zu beant­wor­ten, denn hier spie­len eini­ge Fak­to­ren mit rein:

  • Zugäng­lich­keit
  • Sexu­al­mo­ral und damit einhergehend
  • Stig­ma­ti­sie­rung von Men­schen die sich Tes­ten lassen.

Um einen Test durch­zu­füh­ren braucht die Per­son eine Stel­le, wo sie sich tes­ten las­sen kann, also eine Pra­xis, in der das ger­ne gemacht wird. Gera­de in der Flä­che ist das oft schwie­rig zu fin­den. Klar, Gesund­heits­äm­ter exis­tie­ren aber auch dort wird man oft sehr ungut behan­delt, wenn es um einen Test auf HIV/STD geht. Dazu kom­men Kos­ten: der Test ist zu bezah­len und weni­ge Ärzte*innen ken­nen das magi­sche Wor­te (Risi­ko­kon­takt), so dass die Kas­se die Kos­ten über­nimmt. Es gibt Test­smög­lich­kei­ten bei der Aids­hil­fe und ande­ren Stel­len, die kos­ten­frei oder sogar umsonst sind, aber die müs­sen auch erreich­bar sein.

Wie ist das mit der PrEP? Gibt es da Neben­wir­kun­gen? Kann man die ein­fach neh­men? Geht man da ein­fach zum Haus­arzt und bekommt die dann? Was ist mit Ver­träg­lich­keit mit ande­ren Medikamenten?

Die PrEP (Prä Expo­si­ti­ons Pro­phy­la­xe) bekommst du rein theo­re­tisch beim Haus­arzt wenn… ja wenn was? Nicht jede Pra­xis darf die PrEP ver­schrei­ben, sie muss sich damit aus­ken­nen. Das ist auch eine sinn­vol­le Rege­lung, denn auch wenn die PrEP gut funk­tio­niert sind alle 3 Mona­te Unter­su­chun­gen durch­zu­füh­ren und die Arzt­per­son soll­te scho ver­ste­hen, was da aus dem Labor zurück kommt. In der Regel sind es soge­nann­te Schwer­punkt­pra­xen, die die PrEP ver­schrei­ben. Die haus­ärzt­li­che Pra­xis soll­te dich zu einer ver­wei­sen können.

Du bekommst die PrEP, wenn in Dei­nem Ver­hal­ten ein „sub­stan­zi­el­les“ Risi­ko liegt, dich mit HIV zu infi­zie­ren. In der Regel bekom­men pro­mis­ke Män­ner, die Sex mit Män­nern haben, Sex­ar­bei­ten­de, trans Per­so­nen und Dro­gen­ge­brau­chen­de die PrEP verschrieben.

Als PrEP zuge­las­sen ist Tru­va­da und bau­glei­che Gen­ri­ka. Die häu­figs­ten Neben­wir­kun­gen sind Durch­fall, Erbre­chen, Übel­keit, Schwin­del­ge­fühl, Kopf­schmer­zen, Haut­aus­schlag und Schwä­che­ge­fühl. als ich noch Tru­va­da nahm, waren die Neben­wir­kun­gen nach einer Woche vor­bei und alles gut. Ich ken­ne Fäl­le, wo sie anhal­ten und vor allem ken­ne ich über­wie­gend PrEP-Gebrau­chen­de, die gar kei­ne Neben­wir­kun­gen haben. Wie immer musst Du das mit Dir selbst aus­ma­chen Sind es mir die Neben­wir­kun­gen wert? Wenn ja, go for it!

Tru­va­da hat Wech­sel­wir­kun­gen mit ande­ren HIV Medi­ka­men­te und eini­gen Hepa­ti­tis B Medi­ka­men­ten. Da es über die Nie­re abge­baut ist, soll­te man auf jeden Fall mit der Pra­xis oder Apo­the­ke Rück­spra­che hal­ten, wenn ande­re Medi­ka­men­te, die über die Nie­re abge­baut wer­den, genom­men wer­den sollen.

Was hältst du von dem Slo­gan „Gib AIDS kei­ne Chan­ce“? Ich fin­de ihn stigmatisierend.

Hm. Ich bin ehr­lich sehr ambi­va­lent. Was der Slo­gan sagen will: Du musst dich selbst schüt­zen. Ande­rer kön­nen das nicht für dich tun. Das ist rich­tig. In einer Welt, in der Kon­do­me, PrEP und Test­mög­lich­kei­ten für alle Men­schen zugäng­lich sind, kann das auch funktionieren.

Was er aber auch macht: Die Ver­ant­wor­tung auf die ein­zel­ne Per­son schie­ben – dabei war es ein gesell­schaft­li­cher Kraft­akt, dort hin zu kom­men, wo wir heu­te ste­hen. Wenn es auf die Ein­zel­ver­ant­wor­tung des Ein­zel­nen ange­kom­men wäre, wür­den HIV/AIDS ganz anders gras­sie­ren als bisher.

Ob der Slo­gan stig­ma­ti­siert? Ich emp­fin­de es nicht so – aber ich spre­che da nur für mich. Was der Slo­gan macht(e) ist aber, den Fokus auf die Erkran­kung AIDS zu schie­ben und nicht auf die Infek­ti­on mit HIV. Neu­in­fek­tio­nen wol­len wir ver­hin­dern, wir spre­chen aber oft nur über die Erkran­kung und nicht über das Virus.

Wel­che Ein­schrän­kun­gen gibt es trotz medi­zi­ni­scher Behandlung?

Es gibt mei­nes Wis­sens nach kei­nen bekann­ten Fall, wo bei einer posi­ti­ven Per­son eine Hepa­ti­tis spon­tan aus­ge­heilt wäre (was sonst halt vor­kom­men kann).

Ansons­ten gibt es Ein­schrän­kun­gen bei der Wahl der Rei­se­zie­le oder wohin ich aus­wan­dern könn­te oder wo ich ein Arbeits­vi­sum bekäme.

Wie ist das beim HI-Virus mit ver­schie­de­nen Viren­stäm­men? Hängt das ver­wen­de­te Medi­ka­ment davon ab? Und wie ist das mit PREP und Virenstämmen?

Es exis­tie­ren HIV‑1 und HIV‑2 mit Unter­grup­pen und Sub­ty­pen. Je nach Stamm ver­wen­det man ande­re Medi­ka­men­te zur Behand­lung. Die PrEP ist Wirk­sam gegen HIV‑1 – also dem Stamm, der hier in der Regel auf­tritt. Es gibt Men­schen mit Dop­pel­in­fek­tio­nen, die bei­de jeweils behan­delt wer­den müssen.


Titel­bild
Aids­schlei­fe, Deut­sche Aids­stif­tung, Ver­wen­dung mit freund­li­cher Erlaubnis