Kunstfremde Erwägungen
Ich habe gerade die sogenannte „Resolution zur KLP-Nominierung 2025″ des Aktionsbündis „Fantastik und Gesellschaft“ gelesen, und ehrlich gesagt brauchte ich erstmal einen Moment, um diesen grandiose Bullshit zu lesen. Weil Bullshit. Aber das soll mich ja nicht abhalten, darüber ehrlich empört zu bloggen.
Zur Einordnung: Der Kurd-Laßwitz-Preis (KLP) ist der wichtigste deutschsprachige Preis für Science-Fiction-Literatur, benannt nach dem deutschen Physiker und SF-Pionier Kurd Laßwitz. Seit 1980 wird er jährlich in verschiedenen Kategorien vergeben – von Romanen über Kurzgeschichten bis hin zu Übersetzungen und Cover-Illustrationen. Die Nominierungen erfolgen durch ein Vorauswahlgremium, das aus Mitgliedern der deutschsprachigen SF-Community besteht. Der Preis gilt als bedeutendes Gütesiegel innerhalb des Genres (auch wenn manche da gerne drüber streiten).
Was in der vorliegenden Resolution als „Affäre Kemmler“ (wenn man in den Slug schaut, stand das nämlich vorher in der Überschrift) dramatisiert wird, ist im Kern ein normaler Vorgang: Eine Jury hat eine nominierte Cover-Illustration nach inhaltlicher Prüfung abgelehnt. Dass dies nun zum Anlass genommen wird, die Bewertungskriterien des Preises grundlegend reglementieren zu wollen, nun, das kann man wollen, ist aber nicht wirklich klug.
Fangen wir mit meinem persönlichen Highlight an: „kunstfremde Erwägungen“. Was zur Hölle soll das sein? Lassen wir uns das auf der Zunge zergehen: Die Unterzeichner fordern, dass bei der Beurteilung von Kunst „unter Ausschluss aller kunstfremden Erwägungen allein künstlerische und kunstwissenschaftliche Kriterien anzuwenden“ seien.
Aha. So so. Interessant. Also folgende Frage: Seit wann existiert Kunst im luftleeren Raum? Seit wann ist Kunst losgelöst von gesellschaftlichen Kontexten, von Machtverhältnissen, von der Frage, wen sie darstellt, wie sie darstellt und was sie damit macht? Die ganze Idee einer „reinen“ Kunstbetrachtung, die sich nicht mit so lästigem Kram wie Sexismus, Rassismus oder anderen „ideologischen“ Überlegungen befassen muss, ist selbst eine Ideologie – und zwar eine ziemlich bequeme für diejenigen, die von bestehenden Machtstrukturen profitieren.
Was die Unterzeichner als „kunstfremd“ bezeichnen, ist in Wahrheit genau das, was Kunstkritik halt so macht: Kunst in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu analysieren. Zu fragen, welche Normen sie reproduziert, welche Perspektiven sie marginalisiert, welche Machtverhältnisse sie stabilisiert oder destabilisiert (der Satz ist nicht von mir, den hab ich mal wo gelesen). Das ist nicht „kunstfremd“ – das ist Kunstwissenschaft (oder wie auch immer das Fachwort heißt).
Aber natürlich: Wenn man selbst der Meinung ist, dass ein Cover mit einer bestimmten Darstellung von Weiblichkeit völlig unpolitisch und „einfach nur schöne Kunst“ ist, dann erscheint jede Kritik daran als „Moralapostelei“. Das ist die klassische Bullshitterei: Die eigene Position als neutral und objektiv zu deklarieren, während jede abweichende Meinung als „ideologisch motivierte Pseudoargumentation“ hingestellt wird.
Das Lustige dabei? Die Resolution selbst ist durch und durch ideologisch. Sie kämpft für eine spezifische Vorstellung davon, was Kunst sein darf und wie sie beurteilt werden soll – nämlich so, dass bestimmte Darstellungen nicht kritisiert werden dürfen. Das ist keine Verteidigung künstlerischer Freiheit, sondern der Versuch, Kritik mundtot zu machen.
Und dann dieser herrliche Satz: „Vermeintlicher Sexismus, gegen den die Keule in Wahrheit aus Sexual- und Lustfeindlichkeit geschwungen wird“. Ah ja. Wer Sexismus kritisiert, ist in Wahrheit lustfeindlich. Als ob feministische Kunstkritik nicht gerade dafür kämpfen würde, dass Sexualität und Lust jenseits von objektivierenden, einseitigen und machtdurchtränkten Darstellungen existieren können. Aber nein, natürlich: Kritik = Zensur = Lustfeindlichkeit. Ich kann es nicht mehr hören/lesen.
Die Forderung, dass ein Preiskomitee nicht bestimmen dürfe, „was Diskriminierung ist“ – ich sag mal so, ich bin mir sehr sicher, dass die meisten Komitees (ich habe das Plural erstmal heraus suchen müssen) selbst entscheiden, was sie als diskriminierend erachten. Da war der KLP auch schon mal sehr viel schlechter aufgestellt als momentan. Jetzt ist es aber so: die Jurymitglieder haben eine Entscheidung getroffen – und die Unterzeichner können es nicht ertragen, dass ihre Ästhetik, ihre Werte, ihre Vorstellung von „guter Kunst“ nicht mehr unhinterfragt akzeptiert wird.
Der Verweis auf die „Wokeness-Ideologie„bringt mich auch direkt wieder ein bisschen in Rage. Ein Kampfbegriff ohne inhaltliche Substanz, ein Platzhalter für alles, was die eigene Weltanschauung infrage stellt. Dass ausgerechnet diese Resolution dann von einem „hohen Stellenwert des Preises“ spricht, während sie gleichzeitig versucht, dessen Bewertungskriterien zu diktieren, ist tragikomisch.
Was am Ende bleibt: eine Gruppe von Menschen, die spüren, dass ihre ästhetischen und politischen Vorstellungen nicht mehr selbstverständlich sind, versucht verzweifelt, diese als objektive Maßstäbe zu deklarieren und anderen aufzuzwingen. Aber Kunst war nie unpolitisch, und Kunstkritik schon gar nicht. Wer das nicht wahrhaben will, sollte vielleicht weniger über „kunstfremde Erwägungen“ reden und mehr darüber nachdenken, was die eigenen blinden Flecken sind. Es ist halt auch einfach bitter, wenn man merkt, dass die eigene Deutungshoheit bröckelt (been there, done that) – aber das als Angriff auf die Kunst zu framen, ist dann doch etwas einfach, ne?
Lena Richter hat auf Bluesky heraus gearbeitet, wer denn einige diese Erstunterzeichner*innen sind. Das sind schon so einige, die aufgrund ihrer Position als Herausgeber oder Verlagsinhaber recht einflussreich sind.
Michael K Iwoleit: Gründe rund Herausgeber SF-Magazin NOVA
Michael Haitel: Inhaber Verlag p.machinery
René Moreau und Hans Jürgen Kugler: Herausgeber SF-Magazin Exodus
Walter Jost und Silvia Elsbernd-Reuter: Redaktion Magazin „Science Fiction Times“
davon inspiriert habe ich weiter gesucht:
Heinz J. Baldowé schreibt für diverse SF Magazin, zuletzt für die SF Nachrichten (Achtung, Musik geht an)
Hans-Ulrich Böttcher, Autor bei NOVA
Dieter Braeg, SF-Autor und Journalist
Ronald M. Hahn, Autor und Übersetzer, KLP-Preisträger
Walter Jost, Herausgeber der SF-Nachrichten
Olaf Kemmler war NOVA Herausgeber und ist Autor, KLP-Preisträger
Hans Jürgen Kugler, Autor, Herausgeber, KLP-Preisträger
Marianne Laibach, Autorin, u.a. bei NOVA und veröffentlicht sehr viel bei p.machinery
Horst Pukallus, SF Autor und Übersetzer
Thomas Sebesta, Herausgeber „Treffpunkt Phantastik„
Christian Steinbacher, Autor, u.a. für NOVA
Michael Tillmann, Autor, u.a. für Exodus
Wie es Lena so schön sagte: Macht mit der Info was ihr wollt.
„Was am Ende bleibt: eine Gruppe von Menschen, die spüren, dass ihre ästhetischen und politischen Vorstellungen nicht mehr selbstverständlich sind, …“
Der Satz trifft es. Viele der Unterzeichnerinnen sind weit jenseits der 60 und kommen aus einer SF-Zeit die männlich dominiert war. Das war ja nicht nur in den Texten so. Wie Frauen und ihre Rolle in dieser Zeit in den Texten dargestellt werden (wenn überhaupt welche auftauchen), das kann man heute nur archaisch nennen. Ich erinnere mich noch an die SF/Fantasy-Coverästhetik der 70er und 80er, da wäre das monierte Cover nicht weiter aufgefallen (eher abgefallen – in künstlerlischer, gestalterischer Hinsicht.)
Aber das ist halt auch schon 40, 50 Jahre (!) her und der Wandel ist enorm. Wir haben heute so viel Autorinnen und Künstlerinnen. Damit hat sich natürlich auch viel im Genre verändert, diese Künstlerinnen wollen Frauen nicht mehr als Objekt und auf ihren Körper reduziert haben. Dass die alten Männer (und Frauen!) dieses Manifestes damit nicht zurecht kommen und nicht einmal versuchen, diese andere Perspektive einzunehmen, ist bezeichnend. Wenn man in seiner Haltung so einbetoniert ist, dann ist natürlich alles „woke“, was nicht dazu passt.
Kunst ist immer politisch.
Sie muss aber anders bewertet werden als rein politische Kommunikation oder Werbung.
Es geht dabei nie darum, WAS dargestellt wird, sondern wie.
Nicht im Handwerkssinn, sondern nach komplexen künstlerischen Kriterien.