30. September 2025

Kunst­frem­de Erwägungen

Von tomate
Lese­dau­er 4 Minu­ten

Ich habe gera­de die soge­nann­te „Reso­lu­ti­on zur KLP-Nomi­nie­rung 2025″ des Akti­ons­bün­dis „Fan­tas­tik und Gesell­schaft“ gele­sen, und ehr­lich gesagt brauch­te ich erst­mal einen Moment, um die­sen gran­dio­se Bull­shit zu lesen. Weil Bull­shit. Aber das soll mich ja nicht abhal­ten, dar­über ehr­lich empört zu bloggen.

Zur Ein­ord­nung: Der Kurd-Laß­witz-Preis (KLP) ist der wich­tigs­te deutsch­spra­chi­ge Preis für Sci­ence-Fic­tion-Lite­ra­tur, benannt nach dem deut­schen Phy­si­ker und SF-Pio­nier Kurd Laß­witz. Seit 1980 wird er jähr­lich in ver­schie­de­nen Kate­go­rien ver­ge­ben – von Roma­nen über Kurz­ge­schich­ten bis hin zu Über­set­zun­gen und Cover-Illus­tra­tio­nen. Die Nomi­nie­run­gen erfol­gen durch ein Vor­auswahl­gre­mi­um, das aus Mit­glie­dern der deutsch­spra­chi­gen SF-Com­mu­ni­ty besteht. Der Preis gilt als bedeu­ten­des Güte­sie­gel inner­halb des Gen­res (auch wenn man­che da ger­ne drü­ber streiten).

Was in der vor­lie­gen­den Reso­lu­ti­on als „Affä­re Kemm­ler“ (wenn man in den Slug schaut, stand das näm­lich vor­her in der Über­schrift) dra­ma­ti­siert wird, ist im Kern ein nor­ma­ler Vor­gang: Eine Jury hat eine nomi­nier­te Cover-Illus­tra­ti­on nach inhalt­li­cher Prü­fung abge­lehnt. Dass dies nun zum Anlass genom­men wird, die Bewer­tungs­kri­te­ri­en des Prei­ses grund­le­gend regle­men­tie­ren zu wol­len, nun, das kann man wol­len, ist aber nicht wirk­lich klug.

Fan­gen wir mit mei­nem per­sön­li­chen High­light an: „kunst­frem­de Erwä­gun­gen“. Was zur Höl­le soll das sein? Las­sen wir uns das auf der Zun­ge zer­ge­hen: Die Unter­zeich­ner for­dern, dass bei der Beur­tei­lung von Kunst „unter Aus­schluss aller kunst­frem­den Erwä­gun­gen allein künst­le­ri­sche und kunst­wis­sen­schaft­li­che Kri­te­ri­en anzu­wen­den“ seien.

Aha. So so. Inter­es­sant. Also fol­gen­de Fra­ge: Seit wann exis­tiert Kunst im luft­lee­ren Raum? Seit wann ist Kunst los­ge­löst von gesell­schaft­li­chen Kon­tex­ten, von Macht­ver­hält­nis­sen, von der Fra­ge, wen sie dar­stellt, wie sie dar­stellt und was sie damit macht? Die gan­ze Idee einer „rei­nen“ Kunst­be­trach­tung, die sich nicht mit so läs­ti­gem Kram wie Sexis­mus, Ras­sis­mus oder ande­ren „ideo­lo­gi­schen“ Über­le­gun­gen befas­sen muss, ist selbst eine Ideo­lo­gie – und zwar eine ziem­lich beque­me für die­je­ni­gen, die von bestehen­den Macht­struk­tu­ren profitieren.

Was die Unter­zeich­ner als „kunst­fremd“ bezeich­nen, ist in Wahr­heit genau das, was Kunst­kri­tik halt so macht: Kunst in ihrem gesell­schaft­li­chen Kon­text zu ana­ly­sie­ren. Zu fra­gen, wel­che Nor­men sie repro­du­ziert, wel­che Per­spek­ti­ven sie mar­gi­na­li­siert, wel­che Macht­ver­hält­nis­se sie sta­bi­li­siert oder desta­bi­li­siert (der Satz ist nicht von mir, den hab ich mal wo gele­sen). Das ist nicht „kunst­fremd“ – das ist Kunst­wis­sen­schaft (oder wie auch immer das Fach­wort heißt).

Aber natür­lich: Wenn man selbst der Mei­nung ist, dass ein Cover mit einer bestimm­ten Dar­stel­lung von Weib­lich­keit völ­lig unpo­li­tisch und „ein­fach nur schö­ne Kunst“ ist, dann erscheint jede Kri­tik dar­an als „Moral­apos­te­lei“. Das ist die klas­si­sche Bull­shit­te­rei: Die eige­ne Posi­ti­on als neu­tral und objek­tiv zu dekla­rie­ren, wäh­rend jede abwei­chen­de Mei­nung als „ideo­lo­gisch moti­vier­te Pseu­do­ar­gu­men­ta­ti­on“ hin­ge­stellt wird.

Das Lus­ti­ge dabei? Die Reso­lu­ti­on selbst ist durch und durch ideo­lo­gisch. Sie kämpft für eine spe­zi­fi­sche Vor­stel­lung davon, was Kunst sein darf und wie sie beur­teilt wer­den soll – näm­lich so, dass bestimm­te Dar­stel­lun­gen nicht kri­ti­siert wer­den dür­fen. Das ist kei­ne Ver­tei­di­gung künst­le­ri­scher Frei­heit, son­dern der Ver­such, Kri­tik mund­tot zu machen.

Und dann die­ser herr­li­che Satz: „Ver­meint­li­cher Sexis­mus, gegen den die Keu­le in Wahr­heit aus Sexu­al- und Lust­feind­lich­keit geschwun­gen wird“. Ah ja. Wer Sexis­mus kri­ti­siert, ist in Wahr­heit lust­feind­lich. Als ob femi­nis­ti­sche Kunst­kri­tik nicht gera­de dafür kämp­fen wür­de, dass Sexua­li­tät und Lust jen­seits von objek­ti­vie­ren­den, ein­sei­ti­gen und macht­durch­tränk­ten Dar­stel­lun­gen exis­tie­ren kön­nen. Aber nein, natür­lich: Kri­tik = Zen­sur = Lust­feind­lich­keit. Ich kann es nicht mehr hören/lesen.

Die For­de­rung, dass ein Preis­ko­mi­tee nicht bestim­men dür­fe, „was Dis­kri­mi­nie­rung ist“ – ich sag mal so, ich bin mir sehr sicher, dass die meis­ten Komi­tees (ich habe das Plu­ral erst­mal her­aus suchen müs­sen) selbst ent­schei­den, was sie als dis­kri­mi­nie­rend erach­ten. Da war der KLP auch schon mal sehr viel schlech­ter auf­ge­stellt als momen­tan. Jetzt ist es aber so: die Jury­mit­glie­der haben eine Ent­schei­dung getrof­fen – und die Unter­zeich­ner kön­nen es nicht ertra­gen, dass ihre Ästhe­tik, ihre Wer­te, ihre Vor­stel­lung von „guter Kunst“ nicht mehr unhin­ter­fragt akzep­tiert wird.

Der Ver­weis auf die „Wokeness-Ideologie„bringt mich auch direkt wie­der ein biss­chen in Rage. Ein Kampf­be­griff ohne inhalt­li­che Sub­stanz, ein Platz­hal­ter für alles, was die eige­ne Welt­an­schau­ung infra­ge stellt. Dass aus­ge­rech­net die­se Reso­lu­ti­on dann von einem „hohen Stel­len­wert des Prei­ses“ spricht, wäh­rend sie gleich­zei­tig ver­sucht, des­sen Bewer­tungs­kri­te­ri­en zu dik­tie­ren, ist tragikomisch.

Was am Ende bleibt: eine Grup­pe von Men­schen, die spü­ren, dass ihre ästhe­ti­schen und poli­ti­schen Vor­stel­lun­gen nicht mehr selbst­ver­ständ­lich sind, ver­sucht ver­zwei­felt, die­se als objek­ti­ve Maß­stä­be zu dekla­rie­ren und ande­ren auf­zu­zwin­gen. Aber Kunst war nie unpo­li­tisch, und Kunst­kri­tik schon gar nicht. Wer das nicht wahr­ha­ben will, soll­te viel­leicht weni­ger über „kunst­frem­de Erwä­gun­gen“ reden und mehr dar­über nach­den­ken, was die eige­nen blin­den Fle­cken sind. Es ist halt auch ein­fach bit­ter, wenn man merkt, dass die eige­ne Deu­tungs­ho­heit brö­ckelt (been the­re, done that) – aber das als Angriff auf die Kunst zu framen, ist dann doch etwas ein­fach, ne?


Lena Rich­ter hat auf Blues­ky her­aus gear­bei­tet, wer denn eini­ge die­se Erstunterzeichner*innen sind. Das sind schon so eini­ge, die auf­grund ihrer Posi­ti­on als Her­aus­ge­ber oder Ver­lags­in­ha­ber recht ein­fluss­reich sind. 

Micha­el K Iwo­leit: Grün­de rund Her­aus­ge­ber SF-Maga­zin NOVA
Micha­el Hai­tel: Inha­ber Ver­lag p.machinery
René Moreau und Hans Jür­gen Kug­ler: Her­aus­ge­ber SF-Maga­zin Exodus
Wal­ter Jost und Sil­via Els­bernd-Reu­ter: Redak­ti­on Maga­zin „Sci­ence Fic­tion Times

davon inspi­riert habe ich wei­ter gesucht:

Heinz J. Bal­do­wé schreibt für diver­se SF Maga­zin, zuletzt für die SF Nach­rich­ten (Ach­tung, Musik geht an)
Hans-Ulrich Bött­cher, Autor bei NOVA
Die­ter Braeg, SF-Autor und Jour­na­list
Ronald M. Hahn, Autor und Über­set­zer, KLP-Preis­trä­ger
Wal­ter Jost, Her­aus­ge­ber der SF-Nach­rich­ten
Olaf Kemm­ler war NOVA Her­aus­ge­ber und ist Autor, KLP-Preis­trä­ger
Hans Jür­gen Kug­ler, Autor, Her­aus­ge­ber, KLP-Preis­trä­ger
Mari­an­ne Lai­bach, Autorin, u.a. bei NOVA und ver­öf­fent­licht sehr viel bei p.machinery
Horst Pukal­lus, SF Autor und Über­set­zer
Tho­mas Sebes­ta, Her­aus­ge­ber „Treff­punkt Phan­tas­tik
Chris­ti­an Stein­ba­cher, Autor, u.a. für NOVA
Micha­el Till­mann, Autor, u.a. für Exodus

Wie es Lena so schön sag­te: Macht mit der Info was ihr wollt.