28. März 2022

CN HIV – warnt doch gleich vor Positiven

Von tomate
Lese­dau­er 3 Minu­ten

Con­tent Notes (deutsch: Inhalts­hin­wei­se) sind ein wich­ti­ges Werk­zeug, um bestimm­te Inhal­te eines Texts im Vor­feld anzu­zei­gen, so dass sich jede Per­son, die den Text lesen möch­te, auch vor­her über­le­gen kann, ob sie sich den Inhal­ten gera­de gewach­sen fühlt und/oder sich jetzt gera­de mit die­sen Inhal­ten aus­ein­an­der set­zen will. Con­tent Note ist die ent­pa­tho­lo­gi­sier­te Form von Trig­ger Warnung.

Über das für und wie­der von Con­tent Notes/Trigger War­nun­gen möch­te ich hier gar nicht schrei­ben, denn das haben ande­re sehr viel bes­ser getan als ich – z.B. Elea Brandt, die sich dem The­ma von wis­sen­schaft­li­cher Sei­te genä­hert hat und einen sehr lan­gen Arti­kel über Trig­ger­war­nun­gen in Büchern geschrie­ben hat, mit ver­link­ten Stu­di­en und dem Ergeb­nis: es kommt drauf an. 

In die­sem Bei­trag geht es um genau eine Con­tent Note: HIV. Manch­mal sehe ich auf Twit­ter, in ande­ren Netz­wer­ken und auch in Chats, dass jemand „CN HIV“ schreibt, da es in dem Text nun mal um HIV geht. Hin und wie­der habe ich die Res­sour­cen zu fra­gen, war­um die Per­son genau die­se CN gesetzt hat. Dabei bekom­me ich mehr oder weni­ger fol­gen­de Antworten:

  • Ich möch­te Betrof­fe­ne vor einer unge­woll­ten Kon­fron­ta­ti­on mit der Infek­ti­on schützen.
  • Ich möch­te ande­re vor einer unge­woll­ten Kon­fron­ta­ti­on mit der Infek­ti­on schützen.

Das klingt zuerst sehr rück­sichts­voll und es gibt kei­nen Grund sich zu beschwe­ren, oder?

Nun, ganz so leicht ist es nicht. Zuerst ein­mal: Die HIV Infek­ti­on kann man als HIV posi­ti­ve Per­son nicht von sich tren­nen. Die Infek­ti­on ist da und ich muss mich mit ihr aus­ein­an­der set­zen, egal ob ich das möch­te oder nicht. Als posi­ti­ve Per­son muss ich jeden Tag mei­ne Tablet­te neh­men um nicht an AIDS zu erkran­ken und auf lan­ge Sicht zu ster­ben. Das Stig­ma und die ein­her­ge­hen­de Dis­kri­mi­nie­rung ist Teil des Lebens eines HIV posi­ti­ven Men­schen und es blei­ben zwei Mög­lich­kei­ten: Ent­we­der nicht offen damit leben kön­nen und dür­fen um sich der Dis­kri­mi­nie­rung und dem Stig­ma nicht aus­zu­set­zen oder sich genau die­sem aus­set­zen. Egal wel­che von bei­den Wegen ich wäh­le, die Infek­ti­on ist und bleibt Teil von mir.

Ich glau­be, vie­len nicht posi­ti­ven Per­so­nen ist gar nicht klar, wie stark das Stig­ma und ein­her­ge­hen­de Dis­kri­mi­nie­rung auf posi­ti­ve Per­so­nen wirkt: 25% der HIV posi­ti­ven schämt sich, posi­tiv zu sein, 27% sehen sogar bei sich selbst die Schuld, sich infi­ziert zu haben. Fast 30% haben ein nega­ti­ves Selbst­bild von sich selbst, weil sie HIV posi­tiv sind, 38% machen sich selbst Vor­wür­fe, sich infi­ziert zu haben und 43% haben das Gefühl, dass ihnen ande­re die schuld an ihrer Infek­ti­on geben. 56% haben min­des­tens eine nega­ti­ve Erfah­rung im Gesund­heits­we­sen auf­grund ihrer Infek­ti­on gemacht, 10% wur­de auf­grund ihres Sta­tus eine Gesund­heits­lei­tung ver­wei­gert. 55% wur­den wegen ihres Sta­tus sexu­ell zurück gewie­sen (57% haben Angst vor sexu­el­ler Zurück­wei­sung), 28% erhiel­ten sexua­li­sier­te Kom­men­ta­re weil sie HIV posi­tiv sind. Das ist nur ein Aus­schnitt aus einer aktu­el­len Stu­die der Aids­hil­fe, die ihr hier her­un­ter laden könnt.

Die Scham, die Zurück­wei­sung, das kommt alles nicht aus dem luft­lee­ren Raum. Es gibt immer noch viel zu viel Unwis­sen über Schutz durch The­ra­pie, all­ge­mei­ne Vor­ur­tei­le über Homo­se­xua­li­tät spei­sen sich auch in die Vor­ur­tei­le gegen­über Posi­ti­ven mit ein, Sexu­al­mo­ral exis­tiert nun mal und HIV passt dort nicht rein – kurz: Das Stig­ma seid ihr und es ist untrenn­bar mit posi­ti­ven Men­schen Ver­bun­den. CN HIV löst sich zu CN HIV posi­tiv zu CN toma­te auf – zumin­dest kommt das bei mir und vie­len Posi­ti­ven, mit dene ich in den letz­ten Jah­ren gespro­chen habe, so an (bei die­sen natür­lich CN $name). Ihr warnt mit CN HIV vor uns posi­ti­ven Menschen.

„Ich benut­ze CNs aber nicht als War­nung son­dern nur als Hin­weis, um was es in einem Bei­trag geht.“ und ich weiß schon wie­der nicht, wo ich anfan­gen soll. Was ist ein Hin­weis und was macht er? Die ver­schie­de­nen Defi­ni­tio­nen sind sich dar­über ziem­lich einig, exem­pla­risch die aus dem Duden: Bemer­kung oder Mit­tei­lung, die in eine bestimm­te Rich­tung zielt und jeman­dem etwas (beson­ders eine Kennt­nis­nah­me oder ein Han­deln) nahe­legt. Es geht also dar­um, dass vor einem Bei­trag zur Kennt­nis genom­men wird, dass es um HIV geht. Das wie­der­um aber doch nur, weil es für jeman­den unan­ge­nehm sein könn­te, es gibt sonst kei­nen Grund, den Hin­weis zu setzen. 

Über­legt also, wenn ihr CN HIV setzt, was ihr damit bezweckt: Wollt ihr Men­schen davor schüt­zen, sich mit HIV aus­ein­an­der set­zen zu müs­sen? Das ist kei­ne gute Idee, es müs­sen sich viel mehr Men­schen mit HIV aus­ein­an­der set­zen, damit das Stig­ma abge­baut wird. Wollt ihr posi­ti­ve schüt­zen, mit ihrer Infek­ti­on kon­fron­tiert zu wer­den? Spart euch das, denn wir WIS­SEN dass wir posi­tiv sind.

Mit der CN tragt ihr zur Unsicht­bar­keit von HIV, tragt zur Unsicht­bar­keit von posi­ti­ven Men­schen und ihrer Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­rung, tragt zur Ver­här­tung des Stig­ma bei und ver­letzt damit HIV posi­ti­ve Men­schen. Wenn Du nach Lesen die­ses Bei­trags immer noch fin­dest, dass ein CN HIV not­wen­dig ist, dann bist du Teil des Problems.


Titel­fo­to: Bloo­dy word HIV | Mar­co Verch | ccnull​.de | CC-BY 2.0 | Bear­bei­tung von Jascha Ezra Urbach