Unfertig ist auch eine Form
Ein Essay-Versuch über queeres Schreiben, Publizieren und das Nicht-gefallen-Wollen
Ich habe, seit ich einen Verlag hatte, immer wieder darüber nachgedacht, was das eigentlich ist: queeres Schreiben. Queeres Publizieren. Ich habe Texte gelesen, Texte gemacht, Texte verkauft – und irgendwann meinen Verlag verkauft. Ohne eine Lösung zu haben. Ohne zu wissen, was das überhaupt bedeutet: queer publizieren. Jetzt, ohne Publikationszwang, ohne Kalkulation, hatte ich Zeit, lange nachzudenken.
Ich glaube nicht, dass queere Texte einfach nur Texte über queere Menschen sind. Oder Texte von queeren Menschen. Das wäre zu einfach. Queeres Schreiben ist keine Kategorie. Es ist ein Vorgang, eine Geste, ein Widerstand. Ein Text ist queer, wenn er sich Kategorien entzieht – so wie sich queere Körper der Kategorisierung entziehen. Denn man kann nicht sagen: der Körper ist queer. Man kann es nicht sehen, nicht messen, nicht festhalten. Man wüsste sonst auch, welcher Körper nicht queer ist – und das wissen wir nicht. Queerness ist kein Merkmal. Sie ist eine Bewegung. Eine Verweigerung. Eine Art, im Dazwischen zu existieren.
Ein queerer Text ist nicht queer, weil er Homosexualität abbildet oder weil sein Autor queer ist. Er ist queer, wenn er sich weigert, brav zu funktionieren. Wenn er sich der Lesbarkeit entzieht. Wenn er nicht in Regale passt – Roman, Drama, Drehbuch, Prosa, Lyrik – sondern alles davon ist, und nichts davon. Ich will, dass meine Texte sich gegen ihre eigene Form auflehnen. Dass sie kippen, brechen, springen. Dass sie sich weigern, abgeschlossen zu sein. Dass sie widersprechen, sich selbst sabotieren, an ihren eigenen Grenzen entlangschrammen. Das ist, was Queerness mit Sprache macht: Sie queert sie. Sie macht sie unrein, unfertig, unbrauchbar.
Das, was ich schreibe, soll kein Produkt sein. Kein Stoff für Netflix. Kein Stoff für Preise. Kein Stoff für Lesungen mit Applaus und Sekt danach. Ich will das unspielbare Theaterstück, das unlesbare Drehbuch, das unübersetzbare Gedicht. Ich will das Buch, das sich beim Lesen selbst zerlegt. Ich will, dass der Text so queer ist, dass er sich weigert, Text zu sein.
Queerness ist eine Ästhetik des Dazwischen. Sie lebt vom Fragment, vom Sprung, vom Nebeneinander. Queeres Schreiben darf nicht rund sein. Es muss stolpern. Es muss klingen, als würde jemand atmen, als würde jemand leben. Nicht überleben. Wir haben schon genug Überlebensliteratur. Ich will Texte, die leben, die zittern, die schwitzen, die lachen.
Widerständigkeit heißt nicht nur, gegen Systeme zu schreiben, sondern auch gegen die Formen, in denen diese Systeme denken. Gegen die Normen, die uns sagen, was ein richtiger Körper ist, was ein richtiges Leben ist, was eine richtige Geschichte ist. Queere Menschen werden angefeindet, weil sie mit ihren Körpern machen, was sie wollen. Weil sie Grenzen verschieben, Formen auflösen, Kategorien in Frage stellen. Warum also sollten unsere Texte anders sein? Warum sollten sie brav bleiben, angepasst, ästhetisch, wohlgeformt? Unsere Körper sind nicht normgerecht. Unsere Sprache darf es auch nicht sein. Ich will die Form kaputt machen, weil die Form mich kaputt gemacht hat.
Aber das muss man lernen. Oder verlernen. Ich auch. Ich schreibe immer noch zu ordentlich, zu geschlossen, zu lesbar. Ich versuche, mich an den Rand zu schreiben und merke, wie die alten Strukturen mich zurückziehen – Grammatik, Dramaturgie, gutes Timing. Ich bin nicht gut darin, sie zu sprengen. Aber ich will es sein. Ich will mehr wagen. Mehr probieren. Schreiben, ohne zu wissen, wohin. Texte, die nicht performen, sondern atmen.
Warum haben wir so oft queere Wut, aber so selten queeres, ruhiges, entspanntes Atmen in einem Text? Warum können wir Zärtlichkeit nur im Schmerz zeigen, Ruhe nur im Bruch? Vielleicht, weil wir gelernt haben, dass unser Dasein immer schon ein Protest ist. Dass selbst unser Atem politisch gelesen wird. Vielleicht müssen wir auch das entlernen: dass ein Text nur gilt, wenn er kämpft. Vielleicht darf er auch einfach existieren. Sanft. Zärtlich. Ohne Rechtfertigung. Vielleicht ist das die radikalste Form von Widerstand: ein queerer Text, der ruhig atmet.
Und vielleicht muss sich auch die Publikation ändern. Queere Texte, die nur in PDF-Format oder schönem Satz existieren, verraten sich selbst ein Stück weit. Wo sind die Texte, die ihre Körper behalten dürfen? Die Handschriften, die Ränder voller Notizen, die Korrekturspuren, die kaum zu entziffern sind? Wo sind die Faltungen, die Flecken, die Eselsohren? Wir haben Zines, ja. Aber was, wenn auch das Buch selbst queer sein darf – unfertig, widersprüchlich, handwarm?
Es ist auch der Moment, etwas Unfertiges, aber Verstehbares in die Welt zu lassen. Etwas, das nicht alles erklären muss, aber zeigt: dass das Offene, das Wackelige, das Nicht-Ganz-Fertige auch schön sein kann. Vielleicht sogar ehrlicher. Unsere Texte – und ihre Formen – müssen niemandem gefallen. Nur uns selbst. Und wir müssen bereit sein anzuerkennen, dass sich Queerness vielfältig äußert, auch wenn wir das nicht immer verstehen, nicht immer mögen, manchmal sogar ablehnen. Das ist das Schwierige daran: zu wissen, dass auch das, was uns fremd ist, queer ist. Ich arbeite noch daran. Am Nicht-Verstehen. Am Nicht-Urteilen. Am Zulassen. Aber vor allem daran, laut zu bleiben. Wütend, weich, widersprüchlich. Ich will, dass meine Texte brennen dürfen und atmen, gleichzeitig. Dass sie stolpern, schreien, flüstern, tanzen, weinen – und sich weigern, sich zu schämen. Dass sie alles sind, was ich bin: unfertig, überfordernd, queer. Und vielleicht ist genau das das Ziel: nicht perfekte Texte zu schreiben, sondern welche, die leben.
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