17. Oktober 2025

Unfer­tig ist auch eine Form

Von tomate
Lese­dau­er 3 Minu­ten

Ein Essay-Ver­such über que­e­res Schrei­ben, Publi­zie­ren und das Nicht-gefallen-Wollen

Ich habe, seit ich einen Ver­lag hat­te, immer wie­der dar­über nach­ge­dacht, was das eigent­lich ist: que­e­res Schrei­ben. Que­e­res Publi­zie­ren. Ich habe Tex­te gele­sen, Tex­te gemacht, Tex­te ver­kauft – und irgend­wann mei­nen Ver­lag ver­kauft. Ohne eine Lösung zu haben. Ohne zu wis­sen, was das über­haupt bedeu­tet: que­er publi­zie­ren. Jetzt, ohne Publi­ka­ti­ons­zwang, ohne Kal­ku­la­ti­on, hat­te ich Zeit, lan­ge nachzudenken.

Ich glau­be nicht, dass que­e­re Tex­te ein­fach nur Tex­te über que­e­re Men­schen sind. Oder Tex­te von quee­ren Men­schen. Das wäre zu ein­fach. Que­e­res Schrei­ben ist kei­ne Kate­go­rie. Es ist ein Vor­gang, eine Ges­te, ein Wider­stand. Ein Text ist que­er, wenn er sich Kate­go­rien ent­zieht – so wie sich que­e­re Kör­per der Kate­go­ri­sie­rung ent­zie­hen. Denn man kann nicht sagen: der Kör­per ist que­er. Man kann es nicht sehen, nicht mes­sen, nicht fest­hal­ten. Man wüss­te sonst auch, wel­cher Kör­per nicht que­er ist – und das wis­sen wir nicht. Que­er­ness ist kein Merk­mal. Sie ist eine Bewe­gung. Eine Ver­wei­ge­rung. Eine Art, im Dazwi­schen zu existieren.

Ein quee­rer Text ist nicht que­er, weil er Homo­se­xua­li­tät abbil­det oder weil sein Autor que­er ist. Er ist que­er, wenn er sich wei­gert, brav zu funk­tio­nie­ren. Wenn er sich der Les­bar­keit ent­zieht. Wenn er nicht in Rega­le passt – Roman, Dra­ma, Dreh­buch, Pro­sa, Lyrik – son­dern alles davon ist, und nichts davon. Ich will, dass mei­ne Tex­te sich gegen ihre eige­ne Form auf­leh­nen. Dass sie kip­pen, bre­chen, sprin­gen. Dass sie sich wei­gern, abge­schlos­sen zu sein. Dass sie wider­spre­chen, sich selbst sabo­tie­ren, an ihren eige­nen Gren­zen ent­lang­schram­men. Das ist, was Que­er­ness mit Spra­che macht: Sie que­ert sie. Sie macht sie unrein, unfer­tig, unbrauchbar.

Das, was ich schrei­be, soll kein Pro­dukt sein. Kein Stoff für Net­flix. Kein Stoff für Prei­se. Kein Stoff für Lesun­gen mit Applaus und Sekt danach. Ich will das unspiel­ba­re Thea­ter­stück, das unles­ba­re Dreh­buch, das unüber­setz­ba­re Gedicht. Ich will das Buch, das sich beim Lesen selbst zer­legt. Ich will, dass der Text so que­er ist, dass er sich wei­gert, Text zu sein.

Que­er­ness ist eine Ästhe­tik des Dazwi­schen. Sie lebt vom Frag­ment, vom Sprung, vom Neben­ein­an­der. Que­e­res Schrei­ben darf nicht rund sein. Es muss stol­pern. Es muss klin­gen, als wür­de jemand atmen, als wür­de jemand leben. Nicht über­le­ben. Wir haben schon genug Über­le­bens­li­te­ra­tur. Ich will Tex­te, die leben, die zit­tern, die schwit­zen, die lachen.

Wider­stän­dig­keit heißt nicht nur, gegen Sys­te­me zu schrei­ben, son­dern auch gegen die For­men, in denen die­se Sys­te­me den­ken. Gegen die Nor­men, die uns sagen, was ein rich­ti­ger Kör­per ist, was ein rich­ti­ges Leben ist, was eine rich­ti­ge Geschich­te ist. Que­e­re Men­schen wer­den ange­fein­det, weil sie mit ihren Kör­pern machen, was sie wol­len. Weil sie Gren­zen ver­schie­ben, For­men auf­lö­sen, Kate­go­rien in Fra­ge stel­len. War­um also soll­ten unse­re Tex­te anders sein? War­um soll­ten sie brav blei­ben, ange­passt, ästhe­tisch, wohl­ge­formt? Unse­re Kör­per sind nicht norm­ge­recht. Unse­re Spra­che darf es auch nicht sein. Ich will die Form kaputt machen, weil die Form mich kaputt gemacht hat.

Aber das muss man ler­nen. Oder ver­ler­nen. Ich auch. Ich schrei­be immer noch zu ordent­lich, zu geschlos­sen, zu les­bar. Ich ver­su­che, mich an den Rand zu schrei­ben und mer­ke, wie die alten Struk­tu­ren mich zurück­zie­hen – Gram­ma­tik, Dra­ma­tur­gie, gutes Timing. Ich bin nicht gut dar­in, sie zu spren­gen. Aber ich will es sein. Ich will mehr wagen. Mehr pro­bie­ren. Schrei­ben, ohne zu wis­sen, wohin. Tex­te, die nicht per­for­men, son­dern atmen.

War­um haben wir so oft que­e­re Wut, aber so sel­ten que­e­res, ruhi­ges, ent­spann­tes Atmen in einem Text? War­um kön­nen wir Zärt­lich­keit nur im Schmerz zei­gen, Ruhe nur im Bruch? Viel­leicht, weil wir gelernt haben, dass unser Dasein immer schon ein Pro­test ist. Dass selbst unser Atem poli­tisch gele­sen wird. Viel­leicht müs­sen wir auch das ent­ler­nen: dass ein Text nur gilt, wenn er kämpft. Viel­leicht darf er auch ein­fach exis­tie­ren. Sanft. Zärt­lich. Ohne Recht­fer­ti­gung. Viel­leicht ist das die radi­kals­te Form von Wider­stand: ein quee­rer Text, der ruhig atmet.

Und viel­leicht muss sich auch die Publi­ka­ti­on ändern. Que­e­re Tex­te, die nur in PDF-For­mat oder schö­nem Satz exis­tie­ren, ver­ra­ten sich selbst ein Stück weit. Wo sind die Tex­te, die ihre Kör­per behal­ten dür­fen? Die Hand­schrif­ten, die Rän­der vol­ler Noti­zen, die Kor­rek­tur­spu­ren, die kaum zu ent­zif­fern sind? Wo sind die Fal­tun­gen, die Fle­cken, die Esels­oh­ren? Wir haben Zines, ja. Aber was, wenn auch das Buch selbst que­er sein darf – unfer­tig, wider­sprüch­lich, handwarm?

Es ist auch der Moment, etwas Unfer­ti­ges, aber Ver­steh­ba­res in die Welt zu las­sen. Etwas, das nicht alles erklä­ren muss, aber zeigt: dass das Offe­ne, das Wacke­li­ge, das Nicht-Ganz-Fer­ti­ge auch schön sein kann. Viel­leicht sogar ehr­li­cher. Unse­re Tex­te – und ihre For­men – müs­sen nie­man­dem gefal­len. Nur uns selbst. Und wir müs­sen bereit sein anzu­er­ken­nen, dass sich Que­er­ness viel­fäl­tig äußert, auch wenn wir das nicht immer ver­ste­hen, nicht immer mögen, manch­mal sogar ableh­nen. Das ist das Schwie­ri­ge dar­an: zu wis­sen, dass auch das, was uns fremd ist, que­er ist. Ich arbei­te noch dar­an. Am Nicht-Ver­ste­hen. Am Nicht-Urtei­len. Am Zulas­sen. Aber vor allem dar­an, laut zu blei­ben. Wütend, weich, wider­sprüch­lich. Ich will, dass mei­ne Tex­te bren­nen dür­fen und atmen, gleich­zei­tig. Dass sie stol­pern, schrei­en, flüs­tern, tan­zen, wei­nen – und sich wei­gern, sich zu schä­men. Dass sie alles sind, was ich bin: unfer­tig, über­for­dernd, que­er. Und viel­leicht ist genau das das Ziel: nicht per­fek­te Tex­te zu schrei­ben, son­dern wel­che, die leben.