12. November 2025

Fens­ter

Von tomate
Lese­dau­er 2 Minu­ten

Es gibt die­se Momen­te, in denen die Welt plötz­lich sehr still wird. Nicht im guten Sin­ne. Eher so, als wür­de die Luft dün­ner wer­den, als wür­de etwas feh­len, das man nicht benen­nen kann, weil man es nie hatte.

Ich sit­ze manch­mal da – auf dem Sofa, in der Bahn, beim Arbei­ten – und sehe Men­schen. Oder Bil­der. Oder Geschich­ten. Und dann ist da die­ses Gefühl. Nicht Neid, nicht genau. Eher eine Schwe­re, eine Trau­er über etwas, das nie exis­tiert hat. Über eine Ver­si­on von mir, die es hät­te geben kön­nen, wenn die Umstän­de ande­re gewe­sen wären. Wenn die Zeit anders gelau­fen wäre. Wenn das Fens­ter offen gewe­sen wäre, als ich noch klein genug war, um hindurchzupassen.

Man­che Din­ge las­sen sich nach­ho­len. Man kann mit 40 noch ler­nen, wer man ist. Man kann Com­mu­ni­ties fin­den, Spra­che fin­den, sich selbst finden.

Aber man­che Din­ge? Die haben ein Ver­falls­da­tum. Nicht weil die Gesell­schaft das so will, son­dern weil Kör­per sich ver­än­dern, weil Zeit line­ar ist, weil man­che Aus­drucks­for­men an bestimm­te Momen­te im Leben gebun­den sind. Und wenn man die­se Momen­te ver­passt – weil man sich ver­ste­cken muss­te, weil man nicht wuss­te, weil die Welt noch nicht bereit war oder man selbst noch nicht oder bei­des – dann sind sie weg.

Für immer.

Ich weiß nicht, was ich mit die­sem Wis­sen anfan­gen soll. Es liegt da, schwer, mit­ten im Weg und manch­mal kann ich es igno­rie­ren. Aber manch­mal nicht. Heu­te ist so ein Tag.

Es ist selt­sam, um etwas zu trau­ern, das es nie gab. Um eine Ver­si­on von sich selbst, die nur in Par­al­lel­wel­ten exis­tiert. Die Leu­te™ sagen dann ger­ne Din­ge wie „aber du bist doch jetzt hier“ oder „es ist nie zu spät“ oder „das Wich­tigs­te ist, dass du jetzt authen­tisch leben kannst“. Und das stimmt alles auch. Aber es ändert nichts dar­an, dass da ein Loch ist. Ein Loch in der Form von all den Jah­ren, die ich nicht hat­te, und all den Ver­sio­nen von mir, die ich nie sein konnte.

Ich sit­ze mit die­ser Erkennt­nis und weiß: Es gibt kei­ne Lösung. Kei­ne Zeit­ma­schi­ne. Kei­nen Weg zurück. Nur das Wis­sen, dass man­che Fens­ter sich geschlos­sen haben, bevor ich über­haupt wuss­te, dass sie da waren.

Und manch­mal ist das okay. Ich kann damit leben, meis­tens. Muss ja, ne? 

Aber heu­te – heu­te fühlt es sich an wie Betrug. Als hät­te mir jemand etwas ver­spro­chen und dann die Regeln geän­dert, wäh­rend ich nicht hin­ge­guckt habe. Als wäre ich zu spät zu einer Par­ty gekom­men, die schon vor­bei ist, und jetzt ste­he ich vor einer lee­ren Woh­nung und kann sehen, was ich ver­passt habe.

Es ist, wie es ist. Mor­gen viel­leicht anders. Aber heu­te sit­ze ich damit her­um und weiß nicht ein­mal, war­um ich die­sen Post hier gera­de schreibe.