Straight Allys brauchen keine Flagge
Es war CSD und nach eineinhalb Jahren Pandemie war es einfach ein unglaubliches Gefühl, endlich wieder gemeinsam auf der Straße zu sein und ein paar Stunden ein paar Kilometer Straße für „uns“ zu haben.
Wie jedes Mal wehten die verschiedenen Fahnen der verschiedenen queeren Communities und ich freu mich immer wahnsinnig, diese große Vielfalt an Identitäten zu sehen. Ich weiß, dass unter denen die auf dem CSD mitlaufen auch immer wieder Straight Allys befinden. Straight was?
Straight Ally (eng., deutsch etwa heterosexuelle Verbündete) sind Personen, die sich als heterosexuell und cisgender identifizieren, die die LGBT-Bewegung unterstützen und sich zusätzlich gegen Homophobie, Lesbophobie, Biphobieund/oder Transphobie aussprechen. Der Begriff hat seinen Ursprung als Neologismus des englischen „straight ally“. (Wikipedia, abgerufen am 25.07.2021)
Das klingt erst einmal sehr gut und ich freue mich, dass es Menschen gibt, die queere Communities einfach so unterstützen und auch auf dem CSD mitlaufen. Das ist toll, wirklich wenn da nicht… ja wenn da nicht der Umstand wäre, dass es einige dieser Straigth Allys gibt, die eine Fahne mit sich führen – nämlich die, die ihr auf dem Titelbild seht.
Ich sehe diese Fahne jetzt seit ein paar Jahren und jedes Jahr ärgere ich mich darüber. Ich habe nachgedacht, was mich denn daran ärgert, denn wieso ist es denn schlimm, wenn hetero cis Menschen den Umstehenden zeigen, dass sie für queere Rechte streiten? Das ist doch toll, dass sie das tun, oder?
Ja es wäre toll, wenn da nicht der Umstand wäre, dass die Fahne mir etwas ganz anderes erzählt. Erst einmal erzählt mir die Fahne, dass da ein nicht queerer Mensch ist, der auf dem CSD mitläuft und unbedingt markieren muss, dass keine Queerness vorhanden ist, nicht dass nachher noch jemand aus versehen meint, dass da noch eine weitere queere Person mitläuft. Dann erzählt mir die Fahne etwas von Raumnahme: Der CSD ist für queere Menschen. Natürlich laufen auch Allys mit und das ist auch toll, aber sie markieren sich in der Regel nicht. Die Straight Ally Fahne zeigt mir aber schmerzhaft, dass egal ist, für wen etwas ist, die Heten nehmen sich einfach, was sie wollen.
Ich gehe stark davon aus, dass nichts davon von den Personen beabsichtigt ist und unterstellte auch keinen bösen Willen. Ich unterstelle aber klassisches Heten-Geltungsbedürfnis, auf keinen Fall mit einer queeren Person verwechselt zu werden denn das geht ja nun gar nicht.
Nun ja liebe Mitlesenden, was meint ihr?
Hi, ich bin verwirrt. cis-hetero-Frau, Mutter eines lebensfrohen queers, der recht „unpolitisch“ im Ausland lebt.
Im Schrebergarten weht hier die Regenbogen-Flagge,aber für meinen ersten CSD hatte ich mir bewusst gerade diese ally-Flagg bestellt, weil ich dachte: Solidarität! So wichtig in diesen schlimmen Zeiten!
Nun finde ich deinen Text und glaube, ich lass die Flagge zuhause. Zum Glück nicht bei Amazon gekauft sondern in einem queeren Etsy-Shop.
Danke für die klärenden Gedanken. Weitere Meinungen dazu fände ich interessant.
Hallo, ich bin eine von diesen straight allies. Ich kam nicht auf die Idee, mit der straight ally flag als tatsächliche große Flagge auf den CSD zu gehen. Ich habe mir jedoch dieses Jahr einen kleinen Anstecker mit dieser Flagge gekauft – um zu zeigen, dass ich solidarisch mit queeren Menschen bin. Warum nicht die progressive pride flag? Ich hätte das Gefühl, mir etwas anzueignen, was mir nicht zusteht, wenn ich die progressive pride flag als Anstecker tragen würde. Ich habe kein Problem damit, queer gelesen zu werden. Aber ich möchte nicht so tun, als hätte ich nicht meine straight privileges, ich möchte nicht so tun, als würde ich diskriminiert, wo ich nicht diskriminiert werde. Daher die straight ally flag.
Beim CSD mit einer großen straight ally flag rumzulaufen, käme mir auch komisch und raumgreifend vor. Viele Grüße
Hallo und vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Ich verstehe deine Überlegung und finde es gut, dass du reflektiert über Raumnahme nachdenkst.
Allerdings veranschaulicht deine Argumentation präzise das strukturelle Problem, das ich im Blogpost beschreibe: Du nimmst dir bewusst queeren Raum, markierst dich dabei aber explizit als nicht-queer. Das ist genau die Dynamik, die ich kritisiere – „egal ist, für wen etwas ist, die Heten nehmen sich einfach, was sie wollen.“
Deine Begründung offenbart das klassische Heten-Geltungsbedürfnis: Du sagst zwar, du hättest „kein Problem“ damit, queer gelesen zu werden, aber dein Handeln widerspricht dem fundamental. Die Straight Ally-Flagge funktioniert als aktives „Nein Homo“-Signal – eine demonstrative Markierung deiner Nicht-Queerness im queeren Raum.
Die Progressive Pride Flag kannst du als Ally durchaus tragen – sie symbolisiert Unterstützung der queeren Bewegung, nicht ausschließlich queere Identität. Du würdest dir nichts „aneignen“, sondern Solidarität ausdrücken. Dass du stattdessen eine Flagge wählst, die dich explizit als „anders“ kennzeichnet, reproduziert systematisch die Raumnahme-Mechanismen privilegierter Gruppen: Selbst in Räumen, die explizit für Marginalisierte geschaffen wurden, muss sichtbar bleiben, wer zur Norm gehört.
True Allyship zeigt sich durch solidarisches Handeln – nicht durch permanente Selbstmarkierung als Nicht-Betroffene.
Spannender Gedankengang! Als queerer Mensch würde ich in einen solchen Pin (Flagge fände ich auf einer Pride in der Tat zu viel Raum nehmend) interpretieren: „Hey Leute, ich bin hier, um Solidarität zu zeigen und eure Stimmen lauter zu machen und ich möchte anderen nicht-queeren Menschen zeigen, dass die queere Community nicht allein dasteht. Aber ich will gerade nicht, dass es um mich und meine Anliegen geht, ich markiere mich als ’nicht die relevante Person hier‘ “ – also eigentlich das Gegenteil von Raumnahme.
Hey Cifer!
Ich verstehe deine Interpretation, aber ich sehe das anders: Die Straight Ally-Flagge funktioniert genau umgekehrt zu dem, was du beschreibst. Sie markiert eben nicht „ich bin nicht die relevante Person hier“, sondern etabliert eine sichtbare Kategorie von „besonderen“ Heterosexuellen im queeren Raum.
Das ist klassische Privilegiendynamik: Selbst im Support muss markiert bleiben, wer zur Norm gehört. Andere Allies schaffen es auch ohne Flagge, solidarisch zu sein – warum braucht es diese explizite Abgrenzung?
Die Logik „ich will anderen Heten zeigen, dass queere Menschen nicht allein stehen“ ist ehrenhaft, aber sie macht queeren Raum zu einem Schauplatz für Hetero-Pädagogik. Der CSD wird zur Bildungsveranstaltung für Straight People – das ist Instrumentalisierung.
Wenn jemand wirklich „nicht die relevante Person“ sein will, dann ist die beste Strategie: einfach da sein, unterstützen, ohne sich zu markieren. Die Straight Ally-Flagge ist letztendlich ein Nein-Homo-Signal in Regenbogenfarben.
alternative lesart: geil, danke. Komm bitte und bring alle deine Froinde mit. Solidarität ist wichtig. jetzt mehr als früher.
Sagt wer zu wem?