Im Namen des Volkes
Vorher: Schöffe am Landgericht Berlin I – Landgericht für Strafsachen, Schöffe, Arbeitszeit und Entschädigung
Heute war der letzte Tag der Verhandlung. Gestern haben sowohl der Staatsanwalt als auch der Verteidiger plädiert und heute zogen wir uns zur Beratung zurück, um über die Schuld und bei festgestellter Schuld das Strafmaß zu entscheiden.
In dem Verfahren, an dem ich beteiligt war, kam die Kammer zu dem Urteil, dass der Angeklagte schuldig ist. Er wurde zu einem Jahr und neun Monaten Haft verurteilt. Eine weiterer, zur Bewährung ausgesetzten Haftstrafe muss der nun Verurteilte wohl auch noch absitzen.
Jetzt war ich also an einem Urteil beteiligt, das seinen Menschen für ein Jahr und neun Monate wegsperrt. Dazu gehen mir viele Gedanken durch den Kopf – so wirklich kohärent sind diese allerdings nicht. Ich habe mir nicht ausgesucht, am Strafgericht zu landen. Es hätte ja auch das Verwaltungsgericht sein können, das wäre mir in der Tat lieber gewesen.
Ich finde die Idee, dass einfache Bürger*innen ohne Jurist*innenblick auf die Sachverhalte bei Gericht mitwirken, sehr gut. Ich glaube sehr daran, dass der Blick „aus dem Leben“ auf die Beweislage und Zeug*innenaussagen durchaus auch Berufsrichter*innen nochmal eine anderer Perspektive geben kann (wie übrigens in diesem Verfahren geschehen). Ich habe mir allerdings im Gegensatz zu Berufsrichter*innen nicht ausgesucht, Menschen wegsperren zu können. Ich bin auch kein bisschen darauf vorbereitet, weder intellektuell noch emotional und ich bin alleine mit der Problemlage. Immerhin gibt es das Beratungsangebot der Sozialberatung der Berliner Justiz:
Möglicherweise wird man bei der Ausübung dieses wichtigen Amtes auch mit psychisch sehr belastenden Situationen konfrontiert, die in einem „nachwirken“. Da ist es gut, wenn man auf professionelle Beratung zurückgreifen kann, die zeigt, wie man sich selbst in schwierigen Situationen entlasten kann, um gesund zu bleiben.
Wir bieten Schöffendienst leistenden Personen, die für die Berliner Justiz tätig sind, vertrauliche Beratung im Rahmen Ihrer Amtsausübung an, um eigene schützende Ressourcen zu mobilisieren und damit möglichen traumatischen Folgen vorzubeugen.
Beratungsangebots der Sozialberatung der Berliner Justiz
Ich fühle mich allerdings nicht dazu eingeladen, mich dort mit meiner Problemlage zu melden. Es ist keine akute Belastung und es wird sicher auch kein Trauma davon zurück bleiben (so hoffe ich zumindest). Der Raum, um darüber zu diskutieren, reflektieren und den Knoten in meinem Gehirn zu lösen, den habe ich nicht und deswegen müsst ihr jetzt das hier lesen.
Den versprochenen Teil über das Fragerecht und die Urteilsfindung werde ich so schnell nicht liefern, auch wenn ich ihn versprochen hatte.
Bildnachweis
Titelphoto © 2024 Jascha Ezra Urbach
> Ich habe mir nicht ausgesucht, am Strafgericht zu landen. Es hätte ja auch das Verwaltungsgericht sein könnenGibt es am Verwaltungsgericht Schöffen? AFAIK gibt es die doch nur am Strafgericht?
Nein, es gibt auch am Verwaltungsgericht Schöffen https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/service/ehrenamtliche-richterinnen-und-richter/
nur heißen die da ehrenamtliche Richter*innen. Vllt deshalb die Verwirrung
Das ist Synonym.
Ich bin der ansicht, dass du auf das angebot zugreifen solltest. alleine schon um dieses problemfeld offenzulegen und bewusstsein dafür zu schaffen.
und was mich noch interessieren würde: wie wird eigentlich das befangenheits/privatsphäre-problem gelöst? nehmen wir an @Bediko müsste jetzt vor gericht, da kannst du ja nicht schöffe sein. aber wird ihm vorher gesagt, dass du da bist, damit er auf den konflikt hinweisen kann oder müsstest du das machen, was ja aber heißen würde, dass jetzt weißt, dass das pony vor gericht steht, obwohl er das vielleicht nicht will?
Wenn @Bediko vor Gericht steht und ich wäre Schöffe müsste ich das sofort dem Richter sagen „Mit dem geh ich regelmäßig saufen“ und dann entscheidet der Richter ob ich befangen bin. Wenn das Pony mich sieht kann es auch sofort sagen „Den kenn ich“ und dann wird das ebenfalls geprüft.
ich finde das interessant, weil das ja in gewisser weise schon des ponys rechte einschränken würde, weil es keine kontrolle darüber hat, ob du erfährst, dass es vor gericht steht oder nicht.
Das hat es sowieso nicht. Ich könnte ja auch zufällig Zuschauer im Saal sein.
in erster Linie hat ja auch ein Richter mit der Unterstützung der Schöffen entschieden. Ich weiss nicht ob du dir den Schuh so fest anziehen musst. Die letzendliche Entscheidung hat du ja nicht getroffen. Knuddel, Kopf hoch. 🐻
3 Richter mit zwei Schöffen. Große Strafkammer. Und natürlich haben die mitentschieden – aber trotzdem bin ich beteiligt.
das ist richtig. Naja du schreibst ja auch das er ne alte Bewährungstrafe jetzt auch absitzen muss. Also hat er schon mal vor kurzem Mist gebaut und nicht draus gelernt oder?
ich finde es mehr als schwierig, da „nix draus gelernt“ zu sagen.
Also ich würde ja einige Leute gerne wegsperren helfen. Für immer.Aber für Verfahren gegen AfD-Peinlos kann eins sich nicht speziell bewerben, gell? 😉
nein 😉
Diese Verantwortung über einen wildfremden Menschen so krass (mit) zu entscheiden – schon eine heftige Vorstellung.Mein erster Gedanke war, dass du hier mehr als Bürger handelst als als das Individuum Jascha – was natürlich nicht komplett was anderes ist, aber irgendwie vielleicht ein eigener Aspekt.Eventuell hilft das ja etwas beim Einordnen.
Nicht dein Ernst? Irgendwoher kenne ich diese Argumentation, ist nur schon ein paar Jährchen her…