Wir werden trotzdem tot geschlagen
Was ist das eigentlich mit den queeren Menschen da draußen? Also, nicht mit allen, sondern mit denen, die ständig mitteilen müssen, dass ihre Queerness ja nichts besonderes sei und sie auf keinen Fall anders behandelt werden wollen als nicht-queere Menschen. Ja nicht auffallen, ja nicht die eigene Andersartigkeit anerkennen. Nicht auffallen. Nicht bei der Mehrheitsgesellschaft anecken. Langweilig sein. Cis sein. Hetero sein. Mindestens die „Normalität“ kopieren, wenn nicht gar von ihr assimiliert werden. „Wie sollen wir denn akzeptiert werden, wenn wir uns als etwas besonderes ansehen?“ werde ich oft gefragt. Meine Antwort ist recht einfach: Wir sind etwas besonderes.
Zwei Generationen queerer Menschen sind verschwunden, die eine in den KZs und Gefängnissen der Nazis, die andere ist an AIDS verstorben. Zwei Generationen. Einfach weg. Wir sind aber hier. Wir kämpfen allesamt in dieser Welt ums überleben, wollen leben um zu lieben, um (nicht) zu ficken und … zu leben. Leben um des Lebens willen. Weil wir existieren. Wir kämpfen um einige Meter der Straßen, um ein paar Quadratmeter Fläche für uns und sind auf das Wohlwollen der Mehrheitsgesellschaft angewiesen. Erzähl mir doch nochmal jemand, dass wir nichts Besonderes sind.
Wir haben so viele verloren und verlieren immer noch so viele an Gewalt und Suizide. Jedes queere Leben, dass vorzeitig beendet wird, ist eine Wunde die Narben in unserer gemeinsamen Geschichte hinterlässt. Wir trauern um diejenigen die wir verloren haben aber feiern nicht diejenigen, die noch da sind, ds klingt doch schon falch, oder? Wir sind queer und wir sind am Leben, das ist etws besonders. Alleine deswegen sind wir etwas besonderes.
Das Verhalten vieler gerade junger Queers erinnert mich an Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers sondern die Umstände unter denen er lebt“: „Schwule wollen nicht schwul sein, sondern so spießig und kitschig leben wie der Durchschnittsbürger. […] Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwertig verachtet werden, versuchen sie, noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefühl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlichen Tugenden. Ihre politische Passivität und ihr konservatives Verhalten sind der Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden.“
Wir sind queer und unserer Herzen schlagen, wir atmen und wir bevölkern diese Welt und wir dürfen, nein, vielleicht müssen wir sogar unsere Queerness feiern so lange es geht, denn bisher können wir tun was wir wollen es ist egal. Wir werden trotzdem tot geschlagen.
Die gefällt was ich mache? Du möchtest mich gerne unterstützen? Ich laufe auf Kaffee und Du kannst mir gerne einen ausgeben (PayPal oder Ko-Fi). Auf dieser Seite findest Du auch andere Möglichkeiten, mir Kaffee(ersatz) zukommen zu lassen und natürlich habe ich auch einen Amazon Wunschzettel.
Ach Stephan,
wirklich mal ernsthaft!
Die meisten Vorschriften wie ich mich mit meinem Partner zu verhalten und zu leben habe bekomme ich von dir.
Das fängt hier bei dem Thema an und endet dabei wie der CSD gestaltet werden muss.
Ach Roy,
am Ende des Tages sollst Du so leben, wie Du es für richtig hältst. Aber: lass die anderen halt auch so wie sie es für richtig halten.
Weisst Du, ich habe nie behauptet, die Wahrheit gepachtet zu haben. Ich schriebe Meinungsstücke – das sind Debattenbeiträge. Ich habe eine Meinung, die publiziere ich. Ich spreche für keine Community, ich spreche nicht für andere. ich spreche für mich.
Ohne Debatte bleiben wir halt stehen und das ist das, wovor ich am meisten Angst habe.
Beste Grüße!
tomate
Interessantes Thema, vertrete den gleichen Standpunkt. Leider sehr kurz und knapp und auch nicht besonders gut geschrieben – ich kann da – als jemand, der sehr into queeren Themen ist – gar keinen neuen Gedanken heraus ziehen.
Dann bist Du eventuell nicht die Zielgruppe, wenn Du keinen neuen Gedanken heraus ziehen konntest?
„Gut geschrieben“ ist ja nun mal durchaus eine subjektive Sache.
Ich kommentiere eigentlich keine Online-Artikel, aber da ich jetzt schon häufiger entsprechende Twitter-Inhalte zu diesem ganzen Themenkreis von Dir verfolgt habe, wollte ich mich da auch mal (wenn auch nur einmalig) diskussionsmäßig einbringen, weil das ganze durchaus ein Thema ist was mich beschäftigt.
Ich persönlich muss sagen, ich finde viele dieser Implikationen und Argumentationen ziemlich hypokritisch. Einerseits regst du dich über Leute auf, die andere aufgrund ihres Lebensstils verurteilen, andererseits drehst du den Spieß direkt um und stellst alle Queeren Menschen, deren Normenbild du als zu „heterolike“ wahrnimmst, in die Ecke von Ultra-Konservatismus, irrationaler Religiosität, Homophobie und Spießertum.
Ich bin da ganz offen: Als Schwuler, der ausschließlich monogam lebt, noch bei einem CSD mitgewirkt hat und durchaus den Wunsch hat, später mal Kinder zu haben, finde ich dieses ganze (durchaus sehr verbreitete) Narrativ, man würde damit irgendwie seine Queerness verraten, sei rechtskonservativ (die rechteste Partei, die ich je gewählt habe, war die SPD) oder würde sich in ein Gesellschaftsbild fügen, welches nur zur Unterdrückung Queerer Menschen existiert, zutiefst toxisch und verletzend. Und nein, ich verleugne nicht, dass es auch andersherum geht und ich sage nicht, dass ich ein Mensch ohne Vorurteile bin (Wer ist das schon?). Aber ich finde diese Sichtweise ehrlich gesagt sehr engtirnig und damit genau das, dem Du nach eigenen Angaben ja explizit entgegenstehen wolltest.
Gerade das Bedürfnis, monogam leben zu wollen hat in meinen Augen nicht im geringsten etwas mit zwanghafter Gesellschaftskonformität oder dogmatischer Auslegung von abrahamitischen Religionen zutun. Es gibt haufenweise historische Zeugnisse von Monogamen Beziehungen in vor-christlichen/abrahamitischen Gesellschaften, selbst in solchen, in welchen eher polygame Konstellationen die Norm waren. Für mich hat meine monogame Veranlagung nix damit zutun, irgendwelchen Menschen gefallen zu wollen oder irgendeinen bärtigen Zaubermann auf Wolke 7 glücklich zu machen.
Ich rede jetzt aus meiner Erfahrung, aber mir persönlich ist bis jetzt bei weitem mehr Verachtung, Narzissmus und Intoleranz von Menschen entgegengeschlagen, welche meinten ich sei so wie ich bin ein „Falscher Schwuler“, als von Heteros oder sonst wem. Das soll DEFINITIV nicht heißen, dass Homophobie nicht existiert (Mein Ex-Freund wurde von seiner Familie aus homophoben Gründen praktisch gefangengehalten), aber ich finde es allzu häufig bezeichnend, dass eine Community, die für Toleranz und Akzeptanz stehen sollte, mit den größten moralischen Zeigefinger in Gestalt eines Anti-Moralzeigefingers schwingt. Schade.
Und bezüglich der Suizidrate unter jungen Queers noch eine persönliche Anekdote: Ich war zeitweise wegen Suizidgefahr unter ärztlicher Beobachtung und benötige evtl. in naher Zukunft eine antidepressive Medikation um meinen Alltag zu bewältigen. Der Auslöser war keine homophobe Einstellung in meinem Umfeld, sondern das endlose auf-meinen-Körper-reduziert-werden sowie das ja achso-tolle Gefühl, von Menschen, die man legitim liebte und denen man sein Leben anvertraut hätte, von einem Tag auf den Nächsten wie ein benutzter Gegenstand fallengelassen zu werden, weil ja das nächste Abenteuer winkte und die aktuelle Beziehung ja nur im Weg stand. Und sich dann am Ende des Tages auch noch sagen zu lassen, wie prüde, verwerflich, wertlos und konservativ man ist, weil man selber an ebendiesen Abenteuern kein Interesse hat.
Gruß,
ein Spießer.
Erst einmal: Danke für Deinen Kommentar. Ich finde es gar nicht schlimm, wenn jemand monogam leben will. Ich selbst Macher das auch immer wieder mal. Für mich ist es ein Problem, wenn monogam lebende Schwule (oder gar die klassische Kleinfamilie reproduzierende schwule Paare) ihren Unmut über eben nicht so lebende Schwule kund tun. Die darauf hinweisen müssen, dass „ja nicht alle so sind“. Auch in meinem Umfeld kenne habe ich diverse monogam lebende schwule Paare, die sind glücklich, ich finde das super. Sie würden aber niemals dringend darauf hinweisen müssen, dass ja nicht alle so sind wie z.B. ich. Ich glaube, dass ist der wichtige Unterschied, sie versuchen nicht, eine Normierung aufzuzeigen, damit sie bei Heten als „die guten Schwulen“ da zu stehen.
Zu Deiner Anekdote: Das ist ein massives Problem. Leider sind schwule Männer ja nicht besser als hetero Männer und leider gibt es viel zu viele, die in ihren Beziehungen nicht ehrlich sind, der anderen Person Ales mögliche erzählen, nur um zum Stich zu kommen. Ich finde es sehr schade, dass Du das erleben musstest und ich hoffe, dass Du das verarbeiten kannst und Partner, die von nun an folgen einfach mal keine blöden Pansen sind.